Agustín Carstens speaks about inflation, monetary policy and digital currencies

Interview (only available in German) with Mr Agustín Carstens, General Manager of the BIS, in Germany's Frankfurter Allgemeine Zeitung, conducted by Mr Gerald Braunberger on 18 March 2024 and published on 26 March 2024. 

BIS speech  | 
05 April 2024

Herr Carstens, was können die Zentralbanken aus der jüngsten Inflationsperiode lernen?

Wir haben uns wahrscheinlich in den drei vorangegangenen Jahrzehnten mit niedrigen Inflationsraten etwas zu wohl gefühlt. Kürzlich wurden wir nun daran erinnert, dass wir jederzeit auf überraschende Spitzen in der Inflationsrate vorbereitet sein müssen. 

War die Wiederkehr der Inflation so überraschend?

In der Pandemie war eine expansive Geld- und Finanzpolitik sicherlich angemessen. Allerdings hat in dieser Zeit das globale Güterangebot nicht so flexibel auf die steigende Nachfrage reagiert wie früher; das war ein wichtiger Grund für den Inflationsschub. Jetzt sinken die Inflationsraten unter anderem, weil das globale Angebot wieder flexibler reagiert. Viele Lieferkettenprobleme sind verschwunden. Und natürlich hat auch die geldpolitische Reaktion der Zentralbanken einen wichtigen Beitrag geleistet, die Inflation zu senken. 

Was folgt daraus? 

Die Schlussfolgerung lautet: Wir müssen die globalen Angebotsbedingungen besser verstehen lernen. Das ist gerade auch wichtig mit Blick auf die geopolitischen Gefahren für die Globalisierung. Unsere Generation von Ökonomen hat vor allem in Kategorien der Nachfrage gedacht. 

Das letzte Jahrzehnt war durch sehr niedrige Zinsen gekennzeichnet. Werden wir in diese Welt zurückkehren? 

Es gibt gute Argumente für höhere Zinsen in der Zukunft. Neben der Demographie und möglicherweise einer zunehmenden Produktivität dürfte die Finanzpolitik hierzu beitragen, denn wir haben einen deutlichen Anstieg der Staatsverschuldung in vielen Ländern gesehen. Und das ist noch nicht alles, denn auf die Finanzpolitik kommen weitere Herausforderungen zu. 

Welche sind das?

Zum Beispiel steigende Kosten für das Gesundheitswesen und die Alterssicherung sowie für die äußere Sicherheit und die Bekämpfung des Klimawandels.

Müssen wir uns auch auf längerfristig höhere Inflationsraten einstellen? 

Die Zentralbanken sind unabhängig, um dauerhaft höhere Inflationsraten zu verhindern. Die Bekämpfung längerfristiger Inflationsgefahren ist notwendig, aber sie dürfte ebenfalls zu höheren Zinsen beitragen um Preisstabilität zu gewährleisten. 

Das wird die Regierungen nicht erfreuen, denn angesichts der hohen Staatsverschuldung in vielen Ländern werden höhere Zinsen eine expansive Finanzpolitik erschweren. Können die Zentralbanken politischem Druck widerstehen?

 In guten Zeiten ist es natürlich einfach, unabhängig zu sein. Der Wert der Unabhängigkeit der Zentralbanken zeigt sich jedoch gerade in schwierigen Zeiten, wenn sie gegen politischen Druck verteidigt werden muss. 

Die Bilanzsummen vieler Zentralbanken sind in den Krisen der jüngeren Vergangenheit kräftig gestiegen. Jetzt sinken sie wieder, aber nicht in einem hohen Tempo. Werden die Bilanzsummen auf das Niveau der Vorkrisenzeit zurückkehren?

Das ist schwer zu sagen. Es kommt in der Geldpolitik auf die richtige Reihenfolge an. Zunächst muss es den Zentralbanken darum gehen, mit ihrer Zinspolitik die Inflationsrate wieder auf ein niedriges Niveau bringen. Danach stellt sich die Frage nach der Höhe und der Zusammensetzung der Bilanz, die nicht unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung getroffen werden kann.

Trotz hoher Teuerungsraten sind die Inflationserwartungen der Menschen nicht außer Kontrolle geraten. Sehen Sie hierin einen Vertrauensbeweis für die Zentralbanken?

 Die Zentralbanken haben mit ihren Zinserhöhungen der Öffentlichkeit die Macht ihres Mandats verdeutlicht. Aber noch liegen die Inflationsraten über den Zielen der Zentralbanken. Es sieht zwar so aus, dass Preisstabilität erreicht wird.  Die Arbeit ist aber noch nicht vollständig erledigt, vor allem vor dem Hintergrund der Preisentwicklung bei Dienstleistungen. 

Zentralbanken nutzen für ihre Entscheidungsfindung ökonomische Modelle. Ist nach den jüngsten Erfahrungen irgendein Modell übriggeblieben, das sich verwenden lässt?

 Ich war viele Jahre lang Gouverneur der Bank von Mexiko. Erkenntnisse aus Modellen dienen als eine Informationsquelle, ebenso Daten von den Finanzmärkten oder von Befragungen und Daten über Inflationserwartungen. Modelle helfen, Gedanken zu ordnen, aber sie sind nicht perfekt. Am Ende des Tages benutzt der Geldpolitiker seinen gesunden Menschenverstand und seine Intuition. 

Kein anderes Gebiet der Wirtschaftspolitik beruft sich so stark auf ökonomische Kenntnisse wie die Geldpolitik. Seit mindestens 200 Jahren beschäftigen sich Ökonomen damit und es finden viele Konferenzen zur Geldpolitik statt. Nun sagen Sie, es komme auf gesunden Menschenverstand und Intuition an. Haben wir aus den Erkenntnissen der Ökonomen nichts gelernt? 

Wir haben vieles gelernt. Inflation entsteht aus dem Zusammenwirken aller Kräfte in einer Wirtschaft. Diese Kräfte ändern sich jedoch. Daher braucht es Beweglichkeit, um die jeweilige Situation zu analysieren. Zu Beginn meiner Karrierespielten feste Wechselkurssysteme eine wichtige Rolle für die Inflation. Heute existiert ein solches Wechselkurssystem nicht mehr. In Deutschland hat man sich auf Modelle gestützt, in denen die Geldmenge eine wichtige Rolle spielte, aber sie haben sich als unbrauchbar erwiesen. Die Zentralbanken brauchen die Fähigkeit, in jedem Umfeld für Preisstabilität zu sorgen. Das ist mehr eine Kunst als eine Wissenschaft. 

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich beschäftigt sich sehr intensiv mit digitalem Zentralbankgeld. Manche Kritiker sagen, digitales Zentralbankgeld sei eine Lösung für ein nicht existierendes Problem. Stimmen Sie dem zu? 

In unserer Vision eines modernen Finanzsystems besteht Bedarf für eine weitgehende Digitalisierung. Wir sehen ein Geschäftsmodell für ein digitales Zentralbankgeld im Geschäftsleben, das die Kosten deutlich reduziert und Geschäfte ermöglicht, die heute noch unterbleiben. 

Damit sprechen wir aber noch nicht über ein digitales Zentralbankgeld für private Haushalte.

Nein, und auf den ersten Blick könnte es scheinen, dass dafür auch kein Bedarf existiert, weil private Haushalte heute viele Geldgeschäfte schon digital durchführen können, zum Beispiel mit Kreditkarten. Aber es wäre für Zentralbanken schwer zu akzeptieren, an den Zahlungsgewohnheiten der Menschen unmittelbar keinen Anteil mehr zu haben. 

Was meinen Sie? 

Die direkte Verbindung zwischen der Zentralbank und den Menschen stellt traditionell das Bargeld dar. Aber in vielen Weltgegenden geht die Bedeutung des Bargelds vor allem bei den jüngeren Menschen deutlich zurück. Sollten die Zentralbanken dann nicht mit dem digitalen Zentralbankgeld eine Alternative bieten? Es geht überhaupt nicht darum, den Gebrauch von Bargeld zu stoppen. Aber warum sollten wir jungen Menschen, die Bargeld nicht mehr benutzen wollen, nicht die Möglichkeit bieten, in ihrem I-Phone per App mit digitalem Zentralbankgeld zu bezahlen? Wir glauben, dass die Zentralbanken eine Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit haben, eine solche Option anzubieten. 

Die Geschäftsbanken sehen darin eine Konkurrenz und fürchten um ihre Einlagen und damit um ihre Stabilität. 

Wenn sich die Geschäftsbanken um moderne digitale Finanzprodukte bemühen, können sie mit digitalem Zentralbankgeld konkurrieren. Damit würden sie der Allgemeinheit einen Dienst erweisen. Geschäftsbanken und Zentralbanken sollten bei der Entwicklung des zukünftigen Finanzsystems zusammenarbeiten.

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