Indikatoren für die globale Liquidität: Grundlagen und Anwendung
(Auszug S. 16-17 des Kapitels "Wichtigste Erkenntnisse zum weltweiten Finanzgeschäft?" des BIZ-Quartalsberichts vom März 2015)
In den letzten Jahren haben die Forscher bei der BIZ Indikatoren entwickelt, mit denen die globalen Liquiditätsverhältnisse beobachtet werden sollen. Mit dem Begriff globale Liquidität wird hier der einfache Zugang zu Finanzmitteln an den weltweiten Finanzmärkten bezeichnet. So definiert umfasst die globale Liquidität sowohl Finanzierungsliquidität (die Möglichkeit, ohne Weiteres Barmittel durch Verkauf neuer Verbindlichkeiten an Anleger aufzunehmen) als auch Marktliquidität (die Möglichkeit, ohne Weiteres Barmittel durch Verkauf von Vermögenswerten aufzunehmen). Die globale Liquidität hängt somit von den Handlungen der privaten Anleger, der Finanzinstitute und der Währungsbehörden ab. Im Wesentlichen ist sie ein nicht beobachtbares Merkmal des Finanzsystems - sie kann mittels Analyse verschiedener Preis- und Quantitätsindikatoren geschätzt werden, aber kein einziger Indikator vermittelt für sich allein ein vollständiges Bild. Der Informationsgehalt dieser Indikatoren verändert sich im Zeitverlauf, was bedeutet, dass ein flexibler Ansatz nötig ist, um die globalen Liquiditätsverhältnisse zu schätzen.
Die Finanzinstitute stellen den Wertpapiermärkten durch ihre Handelsgeschäfte Marktliquidität und Kreditnehmern durch ihr Kreditgeschäft Finanzierungsliquidität zur Verfügung. Die Konditionen, zu denen sich diese Intermediäre refinanzieren können, hängen wiederum von der Bereitschaft anderer Marktteilnehmer ab, mit ihnen zu interagieren. Wirtschafts- und Aufsichtspolitik sind ein weiterer Faktor; dazu gehören auch die Bedingungen, zu denen die Zentralbank Finanzierungen zur Verfügung stellt.
Die Wechselwirkungen zwischen diesen privatwirtschaftlichen und staatlichen Faktoren bestimmen, wie einfach der Zugang der Wirtschaft insgesamt zu Finanzmitteln ist. Dies wiederum beeinflusst den Aufbau von Schwachstellen im Finanzsystem in Form von Vermögenspreisinflation, Verschuldung oder Laufzeit- und Refinanzierungsinkongruenzen. Indikatoren messen tendenziell diese „Fussabdrücke" der Liquidität und nicht die Liquidität an sich, die nicht beobachtbar ist.
Aufgrund dieser Überlegungen und aus dem Blickwinkel der Finanzstabilität gehört das globale Kreditvolumen zu den wichtigsten Indikatoren für die globale Liquidität. Der Bestand ausstehender Kredite zeigt an, inwieweit der leichte Zugang zu Finanzmitteln zum Aufbau von Risiken geführt hat. Mit anderen Worten: Das globale Volumen an Krediten für den privaten Sektor zeigt das Ergebnis des Finanzintermediationsgeschäfts an den weltweiten Märkten an. Veränderungen dieser Bestände sind eng mit dem Aufbau von Schwachstellen verknüpft, mit möglichen Folgen für die Finanzstabilität. Diese Stromgrössen umfassen sowohl eine inländische als auch eine internationale Komponente.
Von besonderem Interesse für die Einschätzung der globalen Liquidität ist die internationale Kreditkomponente (grenzüberschreitende Kreditvergabe an Gebietsfremde oder Kreditvergabe in Fremdwährung). Diese grenzüberschreitende Komponente hat während Kreditbooms häufig die marginale Finanzierungsquelle dargestellt. Obgleich sie im Vergleich zum gesamten Kreditbestand meist klein sind, können abrupte Veränderungen dieser internationalen Komponenten inländische Trends verstärken, und sie korrelieren stark mit Auf- und Abschwüngen bei den globalen Finanzierungsbedingungen. Die globale Liquidität unterscheidet sich somit zwar von der inländischen Liquidität, hängt aber mit den inländischen Liquiditätsbedingungen und dem Finanzzyklus in einem bestimmten Land oder einer Region zusammen.
Für jede Einschätzung der globalen Liquiditätsbedingungen müssen die Messgrössen für das globale Kreditvolumen in einen grösseren Zusammenhang gestellt werden. Ein Grossteil dieser Kredite, wenn auch nicht das gesamte Volumen, wird von Banken bereitgestellt; die Indikatoren konzentrieren sich daher auf diese Komponente. Zusätzliche Liquidität wird jedoch auch von Anlegern in Schuldtiteln zur Verfügung gestellt, im Zuge des Wachstums der Kapitalanlagebranche. Eine Palette ergänzender Preis- und Quantitätsindikatoren kann für die Erfassung weiterer Aspekte der globalen Liquidität, die für die Finanzstabilität von Bedeutung sind, verwendet werden. Dazu gehören Messgrössen für die Finanzierungsbedingungen an den wichtigsten Finanzmärkten und für die Anreize, Positionen in verschiedenen Marktsegmenten einzugehen. Zentrale Indikatoren sind hier Näherungswerte für Risikobeurteilungen und -toleranz (z.B. VIX); dies ist ein bedeutender Bestimmungsfaktor für Verschuldung und die Bereitschaft privater Investoren, Mittel bereitzustellen. Ebenfalls von Interesse sind die Konditionen, zu denen Finanzierungen gewährt werden, sowie die Auswirkungen dieser Konditionen auf Kreditvolumina und Preise.
Diese Konzepte sind in einer Reihe von BIZ-Forschungsarbeiten, Berichten von Ausschüssen und Reden entwickelt und verfeinert worden. Besonders aufschlussreich sind die folgenden:
- Ausschuss für das weltweite Finanzsystem (2011): "Global liquidity - concepts, measurement and policy implications", CGFS Papers, Nr. 45, Dezember.
- Borio, C. (2010): "Ten propositions about liquidity crises", CESifo Economic Studies, Vol. 56, Nr. 1, S. 70-95. Auch verfügbar als BIS Working Paper, Nr. 293, November 2009.
- Borio, C., R. McCauley und P. McGuire (2011): "Global credit and domestic credit booms" (nur auf Englisch verfügbar), BIZ-Quartalsbericht, September.
- Bruno, V. und H. S. Shin (2014): "Cross-border banking and global liquidity", BIS Working Papers, Nr. 458, September.
- Caruana, J. (2012): "Assessing global liquidity from a financial stability perspective", Rede anlässlich der 48. SEACEN Governors' Conference and High-Level Seminar, Ulan-Bator, November.
- Caruana, J. (2013): "Global liquidity: where do we stand?", Rede anlässlich der Jahreskonferenz der Bank of Korea, Seoul, Juni.
- Caruana, J. (2013): "Ebbing global liquidity and monetary policy interactions", Rede anlässlich des fünften Zentralbankgipfeltreffens des Banco Central de Chile, Santiago, November.
- Caruana, J. (2014): "Global liquidity: where it stands, and why it matters", IMFS Distinguished Lecture an der Goethe-Universität, Frankfurt a.M., Deutschland, März.
- Domanski, D., I. Fender und P. McGuire (2011): "Assessing global liquidity" (nur auf Englisch verfügbar), BIZ-Quartalsbericht, Dezember.
- Eickmeier, S., L. Gambacorta und B. Hofmann (2013): "Understanding global liquidity", BIS Working Papers, Nr. 402, Februar.
- Shin, H. S. (2013): "The second phase of global liquidity and its impact on emerging economies", Konferenzdokumente der Asia Economic Policy Conference der Federal Reserve Bank of San Francisco, November 2013, S. 1-10.