Fremdwährungsverschuldung in den aufstrebenden Volkswirtschaften Europas: Private Haushalte als Carry-Trader

(Auszug der Seiten 18-19 vom BIS Quarterly Review, September 2010)

Die Währungsschwäche in Mittel- und Osteuropa während der Finanzkrise verdeutlichte das Risiko, das mit einer Verschuldung in Fremdwährung einhergeht. Exportunternehmen können zwar mit solchen Positionen ihre Zahlungsströme absichern, doch private Haushalte ohne Deviseneinkünfte geraten möglicherweise in Schwierigkeiten, wenn die Kosten für die Bedienung von Fremdwährungshypotheken plötzlich ansteigen.

Im vorliegenden Kasten wird zunächst anhand einer gründlichen Auswertung der BIZ-Daten zum internationalen Bankgeschäft das Volumen der Fremdwährungskredite in den aufstrebenden Volkswirtschaften Europas im Vorfeld der globalen Finanzkrise ermittelt. Anschliessend wird gezeigt, dass sich die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern bei der Inanspruchnahme von Fremdwährungskrediten und der Währungsauswahl zum Grossteil anhand eines einfachen Modells erklären lassen. So wägen Kreditnehmer die Zinsersparnis, die sich durch einen Fremdwährungskredit erzielen lässt, gegen die voraussichtliche Instabilität des Schuldendiensts in ihrer Landeswährung ab. In einem anderen Kontext dient dieses Modell dazu, die Gewinnmöglichkeiten von Spekulanten aufzuzeigen, die in Niedrigzinswährungen Mittel aufnehmen, um Anlagen in Währungen mit hohen Zinssätzen zu finanzieren (sog. Carry-Trader).

Dabei wird erstens festgestellt, dass die Fremdwährungsverschuldung in den aufstrebenden Volkswirtschaften Europas umfangreicher war als bisher angenommen. Zweitens hing das Ausmass der Mittelaufnahme in Fremdwährung in den einzelnen Ländern vom Verhältnis der Zinsersparnis zur Wechselkursvolatilität ab. Aus dieser Perspektive lässt sich auch erklären, warum Kreditnehmer in einigen Ländern vorwiegend Euro-Mittel aufnahmen, in anderen Ländern hingegen eher Schweizer Franken. Die Nachfrage nach Fremdwährungskrediten wurde also durch die Zins- und die Wechselkurspolitik bestimmt. Die Angebotsseite passte sich an: Schwedische Banken verliehen Euro in die baltischen Staaten, während Niederlassungen deutscher, italienischer und US-Banken - nicht aber Schweizer Banken - Kredite in Schweizer Franken nach Polen und Ungarn vergaben.

Volumen der Fremdwährungskredite in den aufstrebenden Volkswirtschaften Europas

In den aufstrebenden Volkswirtschaften Europas wurden bis zum dritten Quartal 2007 mehr Fremdwährungsmittel aufgenommen als bisher angenommen. Der Anteil der Fremdwährungskredite - einschliesslich der an die BIZ gemeldeten, im europäischen Ausland verbuchten grenzüberschreitenden Kredite - am gesamten Kreditvolumen erhöhte sich in dieser Zeit insgesamt auf rund die Hälfte, wobei die Spanne von einem Viertel (Tschechische Republik) bis hin zu fast 90% (Lettland) reichte. Damit lag dieser Anteil in den Ländern Mittel- und Osteuropas durchweg über dem entsprechenden Anteil an den Inlandskrediten.1 Dieses Phänomen wird häufig als Euroisierung bezeichnet, wenngleich Kredite in Schweizer Franken etwa 20% der Fremdwährungskredite ausmachten.

Worauf sind die nationalen Unterschiede in Bezug auf den Anteil von Fremdwährungskrediten zurückzuführen? Der nachfolgende Abschnitt liefert teilweise eine Erklärung.

Private Haushalte und Unternehmen als Carry-Trader

Das Ausmass der Fremdwährungskreditaufnahme in den aufstrebenden Volkswirtschaften Europas lässt sich vorwiegend aus Nachfragesicht erklären. Private Kreditnehmer in diesen Ländern nahmen eine Abwägung vor zwischen der Zinsersparnis, die sich aus der Kreditaufnahme in Fremdwährung ergab, und dem Risiko, dass sich ihre Verschuldung, in Landeswährung gerechnet, erhöhen könnte. Angesichts des Zinsniveaus für Kredite in Euro und Schweizer Franken spiegelte dieser Trade-off die geldpolitischen Unterschiede zwischen den verschiedenen aufstrebenden Volkswirtschaften Europas wider, und zwar im Hinblick sowohl auf die Zins- als auch auf die Währungspolitik.

Die privaten Haushalte und die Unternehmen dieser Länder können wie Carry-Trader betrachtet werden. Carry-Trader nehmen bei ihren Engagements Kapitalverlustrisiken in Kauf, um sich Nettozinseinkünfte zu sichern („positives Carry"). Ähnlich nehmen private Haushalte und Unternehmen in den aufstrebenden Volkswirtschaften Europas in Kauf, dass sie bezüglich ihrer Hypotheken bzw. Unternehmenskredite bei Umrechnung in Landeswährung Kapitalverlustrisiken eingehen, wenn sie sich dafür niedrigere Zinssätze sichern können. Der Trade-off zwischen „Carry" und Risiko bei der Fremdwährungsverschuldung lässt sich anhand der Sharpe-Ratio messen, die den Quotienten zwischen der Zinsersparnis in Prozent und der Volatilität des betreffenden Wechselkurses, ebenfalls in Prozent, angibt. Je höher die Sharpe-Ratio, desto attraktiver die Fremdwährungsposition.

Dass die Kreditaufnahme in Euro oder Schweizer Franken Zinsersparnisse verspricht, ist leicht nachvollziehbar. Die Volkswirtschaften Mittel- und Osteuropas sind dabei, gegenüber denjenigen Westeuropas aufzuholen. So nimmt ihre Produktivität im Aussenhandelssektor (z.B. im Automobilbau) rapide zu. Wenn sich die Produktivität im Dienstleistungsbereich (z.B. bei Friseurdienstleistungen) weniger stark erhöht, steigen die relativen Kosten von Dienstleistungen während des Aufholprozesses schneller an. Da die Preisbildung bei Handelsgütern an einem integrierten Markt in der Regel ähnlich verläuft, bedeutet dies eine höhere Inflation im aufholenden Land, was wiederum höhere Leitzinsen nach sich zieht.2

Tatsächlich waren die Zinssätze in Mittel- und Osteuropa in den vergangenen Jahren tendenziell höher als im Euro-Raum. Lediglich in der Tschechischen Republik waren die Zinsen im Kurzfristbereich zumeist niedriger als die entsprechenden Zinssätze im Euro-Raum. Sogar noch niedriger waren die Zinsen für Kredite in Schweizer Franken.

Der Gewinn, der sich aus niedrigeren Zinssätzen ergab, musste gegen die potenzielle Belastung abgewogen werden, falls der Schuldendienst - in Landeswährung gerechnet - ansteigen würde. Einige Währungsbehörden hielten ihre Währungen nahe beim Euro, während andere grössere Wechselkursschwankungen zuliessen. Daher wird untersucht, wie stark sich der jeweilige Wechselkurs gegenüber dem Euro im Zeitraum von Oktober 2004 bis September 2007 tatsächlich veränderte. Die Volatilität der nationalen Währungen gegenüber dem Euro - gemessen an der auf das Jahr hochgerechneten Standardabweichung der täglichen prozentualen Veränderungen - reichte von 0-2% in den baltischen Staaten, Bulgarien und Kroatien bis fast 8% in Polen, Rumänien und Ungarn. Grosse Zinsdifferenzen und geringe Wechselkursschwankungen (eine hohe Sharpe-Ratio) begünstigten die Kreditaufnahme in Fremdwährung, geringe Zinsdifferenzen und hohe Wechselkursschwankungen hemmten sie.

Sharpe-Ratio und Entscheidungsfindung

Die Entscheidungsfindung lässt sich in zwei Schritte unterteilen. Private Haushalte und Unternehmen beurteilen zunächst die Attraktivität der Zinsersparnis durch die Mittelaufnahme in Euro im Verhältnis zur Volatilität ihrer Landeswährung gegenüber dem Euro. Hierzu wird für jede Währung die durchschnittliche Differenz der 3-Monats-Zinssätze des Euro und der Landeswährung im Zeitraum von Oktober 2004 bis September 2007 durch die Volatilität des bilateralen Wechselkurses gegenüber dem Euro dividiert. Setzt man die resultierenden Quotienten mit dem Anteil der Fremdwährungskreditaufnahme in Beziehung, wird deutlich, dass die Länder mit einer höheren Sharpe-Ratio einen höheren Anteil an Fremdwährungsschulden aufweisen. Die Querschnittsvariation der Fremdwährungskreditaufnahme in der Region lässt sich zu gut 40% allein mit der Sharpe-Ratio erklären (Grafik A links).3

Der nächste Schritt zeigt, wie die Entscheidung für die Denominierung des Fremdwährungskredits getroffen wird. Was die Verzinsung betrifft, würde ein Kredit in Schweizer Franken gegenüber einem Kredit in Euro in allen untersuchten Ländern, vom Baltikum bis Bulgarien, dieselbe Zinsersparnis in Höhe von 1½% bringen. Betrachtet man aber die Wechselkursvolatilität, stellt sich die Situation in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich dar. Wo die nationale Währung eng an den Euro gekoppelt war, wurde die Attraktivität von Kreditaufnahmen in Schweizer Franken durch die Volatilität des Frankens gegenüber dem Euro geschmälert. In Ländern wie Polen und Ungarn hingegen, deren nationale Währung erhebliche Schwankungen gegenüber dem Euro aufwies, stand der Zinsersparnis bei einer Mittelaufnahme in Schweizer Franken kaum zusätzliche Volatilität entgegen. In diesen Ländern schien die Zinsersparnis von 1½% verglichen mit einer Zusatzvolatilität der Verschuldung in Schweizer Franken von nur ⅓% (Polen) bzw. ¾% (Ungarn) ausgesprochen attraktiv, und so war der Anteil der Schweizer-Franken-Schulden dort auch am höchsten (Grafik A rechts). Ironischerweise hat die Wechselkursflexibilität, die die Kreditaufnahme in Schweizer Franken begünstigte, dazu geführt, dass infolge der Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro um 20% im Zeitraum September 2007 bis August 2010 diese Kredite für die Schuldner zu einer grossen Belastung geworden sind.

1 Die an die BIZ gemeldeten grenzüberschreitenden Kredite machten rund 19% der Inlandskredite aus, wie von M. Brown, M. Peter und S. Wehrmüller dargestellt; s. „Swiss franc lending in Europe", Aussenwirtschaft, Nr. 64(2), 2009, S. 167-181.2 Unter der Annahme stabiler nominaler Wechselkurse; s. D. Mihaljek und M. Klau, „Catching-up and inflation in transition economies: the Balassa-Samuelson effect revisited", BIS Working Papers, Nr. 270, Dezember 2008. 3 M. Brzoza-Brzezina, T. Chmielewski und J. Niedźwiedzińska belegen, dass die Fremdwährungsverschuldung auf die polnischen, slowakischen, tschechischen und ungarischen Zinssätze reagiert; s. „Substitution between domestic and foreign currency loans in Central Europe. Do central banks matter?", ECB Working Paper Series, Nr. 1187, Mai 2010.