Ansprache von Nout Wellink
Präsident der BIZ und Vorsitzender des Verwaltungsrats
anlässlich der ordentlichen Generalversammlung der Bank am 30. Juni 2003 in Basel
Anlässlich der ordentlichen Generalversammlung der BIZ freue ich mich, die Delegierten der zum Kreis unserer Aktionäre gehörenden Zentralbanken, die Vertreter von anderen Zentralbanken und von internationalen Organisationen sowie unsere hohen Gäste, darunter viele aus der internationalen Bank- und Finanzwelt, zu begrüßen und Sie alle herzlich willkommen zu heißen.
Wie im vergangenen Jahr gibt es bei der Generalversammlung zwei Ansprachen: zum einen meine Kommentare zur Weltwirtschaft, zum anderen einen Bericht über die allgemeine Lage der BIZ. Diesen Bericht wird Ihnen Malcolm Knight präsentieren, der - wie Sie wissen - Andrew Crockett im April dieses Jahres als Generaldirektor der Bank abgelöst hat.
Lassen Sie mich also auf die weltwirtschaftliche Lage eingehen. Zunächst will ich das vergangene Jahr Revue passieren lassen und anschließend nach vorne auf mögliche Herausforderungen schauen. Wie es sich für einen umsichtigen Zentralbanker gehört, werde ich mich dabei auf die voraussichtlichen Risiken und ihre strategischen Implikationen konzentrieren.
Die Wirtschaft hat sich seit dem Frühjahr 2002 enttäuschend entwickelt. Nach anfangs sehr vielversprechenden Zeichen, vor allem in den USA, verlor die erhoffte weltweite Erholung an Schwung. Besonders augenfällig war dies im Euro-Raum, wo sich das Wachstum entgegen den allgemeinen Erwartungen sogar abschwächte. Japan war nach wie vor bemüht, aus seinem langwierigen Konjunkturtief herauszukommen. Was die aufstrebenden Volkswirtschaften betrifft, so wurde die Erholung in weiten Teilen Lateinamerikas durch eine eingeschränkte Auslandsfinanzierung und Bedenken über inländische Entwicklungen, die sich nur allmählich legten, gebremst. Die größten Lichtblicke gab es in Asien sowie in Mittel- und Osteuropa, wo sich das Wachstum bemerkenswert widerstandsfähig zeigte, und in einigen wenigen Industrieländern erwies es sich sogar als recht robust.
Insgesamt war die Wirtschaftsentwicklung trotz einer sehr expansiven makroökonomischen Politik verhalten. Die Geldpolitik, die nach Einsetzen des globalen Abschwungs schrittweise gelockert worden war, blieb zumeist akkommodierend, und die Leitzinssätze verharrten in inflationsbereinigter Betrachtung tendenziell unter ihren langfristigen Gleichgewichtswerten. Die Leitzinsen wurden eine Zeit lang stabil gehalten, aber in der Regel weiter gesenkt, sobald das Stocken der Erholung deutlicher wurde. Ebenso wurde - in unterschiedlichem Ausmaß - die Konjunktur durch die Fiskalpolitik gestützt. Dies galt vor allem für die USA, wo diskretionäre Maßnahmen zu einem hohen Haushaltsdefizit führten, sowie in den meisten aufstrebenden Volkswirtschaften. Im Euro-Raum und in Japan ließ man die automatischen Stabilisatoren wirken, aber der Handlungsspielraum war hier von vornherein begrenzt.
Positiv zu vermerken ist, dass die Inflation im Allgemeinen gedämpft blieb, was es den Zentralbanken erlaubte, ihr Instrumentarium zur Stützung der Nachfrage einzusetzen. Ohne Zweifel leistete die schwache Weltwirtschaft hierzu einen Beitrag, aber auch die hart errungene Glaubwürdigkeit der Notenbanken spielte eine Rolle. Anders als in den siebziger und frühen achtziger Jahren lösten die Ölpreisanstiege keine anhaltenden Lohn- und Preissteigerungen aus, während die Inflationserwartungen bemerkenswert fest verankert waren. In Lateinamerika dagegen sah es bis vor kurzem etwas anders aus, denn in Ländern mit großen Währungsabwertungen schossen die Preise weit über das jeweilige Inflationsziel hinaus. Aber auch dort war der Einfluss des Wechselkurses auf die Preise offenbar schwächer als in der Vergangenheit.
Allerdings ist ein gedämpfter Inflationsdruck nicht notwendigerweise gleichbedeutend mit wünschenswerter Preisstabilität. Tatsächlich kam es in einigen asiatischen Ländern zu einem Rückgang des allgemeinen Preisniveaus. In einigen Fällen, wie in China, fiel dieser recht harmlos aus, da gleichzeitig ein rasches Produktivitäts- und Produktionswachstum zu verzeichnen war. In anderen Fällen dagegen war er weit unangenehmer, insbesondere in Japan und Hongkong. Und zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg kamen Fragen auf, ob sich solche deflationären Tendenzen weiter ausbreiten könnten. Sogar in einigen Ländern außerhalb Asiens näherten sich die Preise - unter Berücksichtigung der typischen systematischen Verzerrungen der Preisindizes - im Laufe des Berichtszeitraums immer stärker einem konstanten Niveau an.
Ein Lichtblick in diesem ansonsten uneinheitlichen Bild war die anhaltende Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems, die die Weltwirtschaft erheblich stützte. Zwar hatten die Versicherungsgesellschaften mit Schwierigkeiten zu kämpfen, doch die Banken hielten sich im Vergleich zu früheren Phasen während des Abschwungs insgesamt gut - ungeachtet der außergewöhnlich hohen weltweiten Vermögenseinbußen infolge des dreijährigen Rückgangs der Aktienkurse und trotz der Probleme des Unternehmenssektors in den größten Volkswirtschaften. Tatsächlich gab es im Berichtszeitraum in vielen Ländern mehr Bonitätsherabstufungen von Unternehmen, zahlreichere Ausfälle und höhere ausfallbedingte Verluste als in den frühen neunziger Jahren. Natürlich schnitten nicht alle Bankensysteme gleich gut ab. Beispielsweise erzielten die deutschen Banken enttäuschende Ergebnisse, und die japanischen Banken waren weiterhin ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten ausgesetzt. In den übrigen Ländern gingen die Gewinne aber im Großen und Ganzen nur leicht zurück oder stiegen sogar, wie in den USA, während die Qualität der Vermögenswerte im Allgemeinen erhalten blieb. Es ist richtig, dass eine Reihe spezifischer Merkmale des gegenwärtigen Abschwungs zu diesem positiven Ergebnis beitrugen. Maßgebend waren jedoch auch die Bemühungen um Kosteneinsparungen, besseres Risikomanagement und größere Umsicht während der Boomjahre. Die Bankenaufsicht spielte ebenfalls eine Rolle.
Wie wird es weitergehen? Wird die Erholung wieder Fuß fassen, oder wird sie noch einige Zeit auf sich warten lassen? Und wo liegen die Risiken? Um diese Fragen zu beantworten, lohnt es sich, einen Augenblick darüber nachzudenken, wie es zu der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Lage gekommen ist. Ich möchte drei Punkte hervorheben.
Erstens sind - rund drei Jahre nach dem Beginn des jüngsten Abschwungs - seine Merkmale wesentlich deutlicher geworden. Was anfänglich verständlicherweise als ein normaler Lagerzyklus hätte interpretiert werden können, stellte sich als eine für die Nachkriegszeit ungewöhnliche konjunkturelle Wende heraus. Diesmal wurde der Abschwung nicht in erster Linie von einer geldpolitischen Straffung zur Abwehr inflationären Drucks ausgelöst. Vielmehr wurde er größtenteils durch eine plötzliche Kontraktion der Investitionsausgaben in Verbindung mit niedrigeren Gewinnen und einem Kurseinbruch an den Aktienmärkten herbeigeführt. Vorangegangen war eine lange Phase rapiden Wachstums, stark ansteigender Preise von Vermögenswerten und zunehmender Verschuldung, insbesondere in den USA. Von den offensichtlichen Unterschieden einmal abgesehen, war Ähnliches zuvor schon in Fällen zu beobachten, deren Spätfolgen noch spürbar sind, beispielsweise in Japan und einer Reihe ostasiatischer Länder.
Zweitens erklären sich die Eigenheiten der bisherigen zögerlichen Erholung weitgehend daraus, wie der Abschwung verlaufen ist. Die Investitionstätigkeit war besonders schwach, weil den Unternehmen der Preiseinbruch bei den Vermögenswerten und die hohe Verschuldung zu schaffen machten und sie versuchten, ihre Überkapazitäten abzubauen und ihre Bilanzen zu sanieren. Im Gegensatz dazu waren die Verbraucherausgaben generell die größte Stütze für die Wirtschaftsaktivität. Insbesondere die Ausgaben für Wohneigentum profitierten wesentlich von den rückläufigen kurz- und langfristigen Zinssätzen, die in einigen Fällen ein Rekordtief seit dem Zweiten Weltkrieg erreichten, und die Preise für Wohneigentum entwickelten sich in vielen Ländern ungewöhnlich lebhaft. Zudem stützte die fiskalpolitische Lockerung die Nachfrage ganz erheblich.
Drittens haben sich mit dem unausgeglichenen globalen Wachstum die Leistungsbilanzungleichgewichte weltweit vergrößert. Das US-Leistungsbilanzdefizit weitete sich im Berichtszeitraum aus, worin sich die Rolle der USA als letzte Nachfragestütze für eine ansonsten kraftlose Weltwirtschaft widerspiegelt. Und offenbar hatte dies nun allmählich eine Wirkung auf den Dollar, dessen langer Aufwärtstrend sich umkehrte.
Die Schlüsselfrage ist nun, ob die expansiven Maßnahmen und die Verbraucherausgaben die Zeit bis zu einer Erholung der Investitionstätigkeit überbrücken können und ob dies gelingt, ohne Ungleichgewichte zu schaffen, die irgendwann die Nachhaltigkeit der Expansion gefährden könnten. Von dieser Warte aus sind die Aussichten nicht eindeutig.
So gibt es eine Reihe ermutigender Zeichen. Als die Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg nachließen, gingen die Ölpreise zurück, die "Kriegsprämie", die das Vertrauen belastet hatte, verschwand, und die Aktienmärkte boomten. Bis lange in den Mai hinein verringerten sich die Kreditzinsspannen weiter gegenüber ihrem Höchststand im letzten Jahr, was teilweise dem Vertrauen der Anleger zuzuschreiben war, das sich nach den Unregelmäßigkeiten bei der Unternehmensführung, die die Märkte 2002 erschüttert hatten, bis zu einem gewissen Grad wieder einstellte. Inzwischen ist der Schuldenabbau der Unternehmen entsprechend vorangeschritten, und die Gewinne scheinen sich wieder zu festigen. Dies gilt insbesondere für die USA, wo das Produktivitätswachstum bemerkenswert robust war. Bei den geringen Lagerbeständen und den noch geplanten expansiven Maßnahmen sind die Voraussetzungen für eine sich beschleunigende Erholung offenbar im Wesentlichen gegeben.
Gleichzeitig bleiben mehrere eng miteinander verknüpfte Risiken bestehen, die sowohl die Finanzmärkte als auch die Realwirtschaft betreffen.
Erstens stellen sich Fragen zu dem Verhältnis zwischen den gegenwärtigen Preisen von Vermögenswerten und den wirtschaftlichen Fundamentaldaten. Trotz der umfangreichen Korrekturen in den letzten drei Jahren scheinen die Kurs/Gewinn-Verhältnisse nach wie vor eher optimistische Erwartungen hinsichtlich der Rentabilität der Unternehmen in einigen Ländern widerzuspiegeln. Zuweilen, wenn Regelungen bestehen, die das Glätten von Schwankungen gestatten, dürften auch die verzögerten Auswirkungen des Kursrückgangs auf die Deckungslücken bei den Betriebsrentenplänen nicht ausreichend berücksichtigt sein. Zwar spielte der Eindruck, dass sich die Kreditwürdigkeit verbessert habe, zweifellos eine Rolle, doch waren die enger werdenden Kreditzinsspannen auch darauf zurückzuführen, dass die Aufschläge auf Staatsanleihen auf historische Tiefstände sanken und ein Streben nach höheren Renditen auslösten. Nachdem die Preise für Wohneigentum rasant gestiegen sind, gibt es nun Hinweise darauf, dass sie in einigen Ländern an Dynamik verlieren. Folglich könnte sich die historische Beziehung bestätigen, wonach auf einen Höchststand am Aktienmarkt stets ein Höchststand bei den Preisen für Wohnimmobilien folgt, diesmal allerdings mit einer längeren Verzögerung, die teilweise auf die akkommodierende Geldpolitik zurückzuführen ist.
Zweitens könnten die Verbraucherausgaben womöglich zu früh an Dynamik verlieren. Die Notwendigkeit von Bilanzsanierungen könnte sich als hartnäckigerer Bremsfaktor für die Investitionstätigkeit erweisen als angenommen, denn der Verschuldungsgrad liegt weiterhin deutlich über dem historischen Durchschnitt, und die Beschaffung von Eigenkapital ist nach wie vor schwierig. Die Erfahrungen Japans sind zwar außergewöhnlich, doch in diesem Zusammenhang recht aufschlussreich. Und je länger sich die Erholung verzögert, desto schwieriger wird es für den Konsum, das Wachstum zu stützen. In vielen Ländern hat die Verschuldung der privaten Haushalte im Verhältnis zum Einkommen einen Rekordstand erreicht. Sollten die Preise für Wohneigentum wie auch der Arbeitsmarkt weiter an Dynamik verlieren, könnten die privaten Haushalte, ebenso wie zuvor die Unternehmen, unter Druck geraten, ihre Ausgaben zu reduzieren.
Drittens bringt die gegenwärtige internationale Konstellation der Leistungsbilanzen eine weitere Schwierigkeit mit sich. Einerseits reduziert die Abwertung des US-Dollars tendenziell die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte der USA. Indem sie in anderen Teilen der Welt den Spielraum für eine Lockerung der Geldpolitik vergrößert, könnte sie auch die weltweite Nachfrage auf begrüßenswerte Weise ankurbeln. Bei einer zu raschen Abwertung besteht jedoch die Gefahr, dass sich die notwendigen Anpassungen nicht reibungslos vollziehen, u.a. aufgrund möglicher Verluste bei nicht abgesicherten Positionen, und protektionistische Tendenzen könnten zunehmen. Ein schleppendes Wachstum der Inlandsnachfrage in anderen Ländern erhöht dieses Risiko zusätzlich. Die Gläubigerländer, die sich in hohem Maße auf exportorientierte Wachstumsstrategien stützen, wären natürlich eher in der Lage, einen Teil der Anpassungen zu tragen. Andererseits kann eine weniger willkommene Leistungsbilanzkorrektur über einen Rückgang der Inlandsnachfrage und der Produktion in den USA nicht ausgeschlossen werden. Insbesondere die Sparquote der privaten Haushalte bewegt sich nur langsam auf ein im langfristigen Vergleich üblicheres Niveau zu.
Viertens wäre es unwahrscheinlich, dass das Finanzsystem - sollte die Weltwirtschaft in eine Phase anhaltender Schwäche eintreten - diese unbeschadet überstehen würde. Mit der Zeit würden die bestehenden Sicherheitspolster aufgezehrt, und potenzielle Schwachstellen in der Funktionsweise einiger Finanzmärkte könnten sichtbar werden. Ein denkbares Beispiel hierfür ist der Markt für die Übertragung von Kreditrisiken, der in den letzten Jahren rasant gewachsen, jedoch noch nicht wirklich krisenerprobt ist.
Vor diesem Hintergrund besteht die größte Herausforderung darin, ein nachhaltiges weltweites Wachstum zu fördern und gleichzeitig eine allmähliche Absorption der realwirtschaftlichen und finanziellen, nationalen und internationalen Ungleichgewichte zu erleichtern, die in der beispiellosen Expansion des letzten Jahrzehnts entstanden sind. Besonders wichtig ist dies in den langsamer wachsenden Volkswirtschaften außerhalb der USA. Da diese Ungleichgewichte den Handlungsspielraum einschränken und den Trade-off zwischen kurzfristigem Nutzen und längerfristigen Kosten komplizieren, wird dies keine leichte Aufgabe werden. Sollten einige der Risikoszenarien tatsächlich eintreten, könnten sich die Entscheidungsträger darüber hinaus auf ungewohntem Terrain wiederfinden. Denn wenn die Wirtschaftsschwäche lange genug anhält, ist ein Rückgang des allgemeinen Preisniveaus auch außerhalb Asiens nicht auszuschließen.
Der Handlungsspielraum, um einer etwaigen längeren Schwächeperiode entgegenzuwirken, ist von Land zu Land unterschiedlich und hängt auch von den zur Verfügung stehenden politischen Instrumenten ab.
An dem einen Ende der Skala befindet sich Japan, dem kaum noch Wege offen stehen. Die Leitzinssätze sind bei null, die Strategie der quantitativen Lockerung der Bank of Japan hat nicht den erhofften Erfolg gebracht, und auch die Wirksamkeit der unkonventionelleren geldpolitischen Maßnahmen ist keineswegs sicher. Des Weiteren hat sich die längerfristige Haushaltslage wesentlich verschlechtert. Von vorrangiger Bedeutung ist es, die geringen verfügbaren fiskalpolitischen Ressourcen zur Unterstützung der Restrukturierung des Unternehmens- und Finanzsektors einzusetzen, die notwendig ist, um Angebotsbeschränkungen zu mildern, die aufgestaute Nachfrage des Unternehmenssektors freizusetzen und der Geldpolitik wieder eine gewisse Wirksamkeit zu verleihen. Dabei ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Währungs-, Finanz- und Aufsichtsbehörden erforderlich. Der Aufwertungsdruck auf die Währung schränkt den Handlungsspielraum weiterhin ein und ist deshalb alles andere als willkommen.
Im Euro-Raum sind die Einsatzmöglichkeiten der einzelnen Instrumente unterschiedlich groß. Dass die notwendigen Strukturanpassungen, die zu einer glaubwürdigen mittelfristigen Verankerung beigetragen hätten, in guten Zeiten nicht vorgenommen wurden, hat die Möglichkeiten der Fiskalpolitik beträchtlich reduziert. Dagegen sind in der Geldpolitik sowohl der Handlungsspielraum als auch die stabilitätspolitische Glaubwürdigkeit groß genug für eine Lockerung, sollten die Umstände dies verlangen. Aber darüber hinaus besteht die Herausforderung vor allem darin, das Wachstumspotenzial des Euro-Raums zu erhöhen. Es gibt jetzt keine Alternative mehr zu tief greifenden Maßnahmen, die die Flexibilität der Arbeits- und der Gütermärkte erhöhen. Die dringend benötigte Liberalisierung der Gütermärkte könnte auf kurze Sicht ebenfalls eine willkommene Steigerung der Nachfrage bewirken. Sollte der Euro im Rahmen des globalen Anpassungsprozesses weiterhin aufwerten, so sollte dies als Katalysator für notwendige Reformen genutzt werden und nicht, um die Rückkehr zu einem gefährlichen Protektionismus zu rechtfertigen.
In den USA ist die Konstellation wieder eine andere. Die Geldpolitik nähert sich einem Zinsniveau, bei dem ihre Wirksamkeit beeinträchtigt sein könnte. Und die Fiskalpolitik hat das - teilweise illusorische - strukturpolitische Polster aus der vorangegangenen Aufschwungphase so rasch aufgebraucht, dass sich die Frage nach der langfristigen Tragfähigkeit der gegenwärtigen Trends stellen könnte. Die wichtigsten Stärken der US-Wirtschaft sind das rasche Produktivitätswachstum und ihre Anpassungsfähigkeit, die in der Flexibilität der Arbeits- und der Gütermärkte zum Ausdruck kommt. Diese Stärken könnten sich in nächster Zeit als sehr wertvoll erweisen.
In anderen Teilen der Welt ist das Bild eher uneinheitlich. Insgesamt gesehen wird jedoch in vielen Ländern, insbesondere in den aufstrebenden Volkswirtschaften, die Frage nach der Tragfähigkeit der öffentlichen Haushaltslage, die in den neunziger Jahren zumeist in den Hintergrund getreten war, wieder aktuell. Und für Lateinamerika gilt dies ganz besonders. Der Geldpolitik kommt eine wichtige Rolle zu, sofern sie nicht, wie in Lateinamerika, durch deren Abhängigkeit von der Auslandsfinanzierung oder, wie in einigen Ländern Asiens, die eine Deflation verzeichnen, durch einen weitgehend ausgeschöpften Handlungsspielraum in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt wird. In vielen aufstrebenden Volkswirtschaften hat der weitere Aufbau einer funktionierenden Finanzinfrastruktur nach wie vor Priorität.
Welche allgemeinen Schlussfolgerungen können wir aus dieser Analyse ziehen? Ich möchte drei hervorheben.
Erstens sollten die Rahmenbedingungen sowohl Beschränkungen zur Sicherung der mittelfristigen Tragfähigkeit umfassen als auch Mechanismen, die ein flexibles Reagieren auf kurzfristige zyklische Entwicklungen oder auch auf Ausnahmesituationen ermöglichen. Gerade ein transparentes Engagement für eine langfristige Tragfähigkeit verleiht kurzfristig ausgerichteten diskretionären Maßnahmen Glaubwürdigkeit und Schlagkraft. Diese banale Lehre wird in guten Zeiten allzu oft vergessen. Der gegenwärtig eingeschränkte Spielraum für antizyklische fiskalpolitische Maßnahmen in einigen Ländern bringt sie klar zum Ausdruck, sie hat jedoch auch in anderen Bereichen Gültigkeit, so in der Geldpolitik und bei den aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen. Dieser Lehre konsequent Folge zu leisten wird auch in Zukunft eine Herausforderung bleiben.
Zweitens dürfte die Kooperation der Geldpolitik und der Fiskalpolitik sowie in manchen Fällen der Aufsicht in Zukunft noch dringlicher werden. Kooperation heißt nicht unbedingt Kompromiss, sondern vielmehr eine untereinander abgestimmte Vorgehensweise auf der Grundlage eines klaren gemeinsamen Verständnisses der jeweiligen Funktion. Am deutlichsten ist die Notwendigkeit einer solchen Zusammenarbeit in Japan, wo sich die Grenze zwischen geldpolitischen und fiskalpolitischen Maßnahmen angesichts der Krisensituation de facto verwischt hat. Mit Blick auf die hartnäckigen unterdurchschnittlichen Wachstumsraten hat sie jedoch auch allgemein an Bedeutung gewonnen.
Drittens schließlich dürfte der globale Charakter der anstehenden Herausforderungen die Mechanismen der internationalen Zusammenarbeit noch stärker auf die Probe stellen. In dieser Hinsicht galt es in letzter Zeit eine Reihe schwieriger Aufgaben im wirtschaftlichen Bereich und darüber hinaus zu bewältigen. In einigen Fällen, wie durch die Doha-Verhandlungsrunde über die Liberalisierung des Welthandels verdeutlicht, hat sich die internationale Kooperation als unzulänglich erwiesen. Wenn wir die Prüfung bestehen wollen, müssen wir alle uns in unserem jeweiligen Kompetenzbereich noch mehr anstrengen.
Bevor ich an den Generaldirektor übergebe, will ich noch die wichtigsten Veränderungen im Verwaltungsrat nennen.
Im Dezember 2002 gab Urban Bäckström sein Amt als Gouverneur der Sveriges Riksbank ab und schied aus dem Verwaltungsrat aus. Mit Wirkung vom 1. Januar 2003 wählte der Verwaltungsrat Lars Heikensten, Urban Bäckströms Nachfolger als Gouverneur der Sveriges Riksbank, zum Mitglied des Verwaltungsrats.
Im März 2003 trat Masaru Hayami, Gouverneur der Bank of Japan, in den Ruhestand und schied aus dem Verwaltungsrat aus. Im Mai 2003 wählte der Verwaltungsrat seinen Nachfolger als Gouverneur der Bank of Japan, Toshihiko Fukui, zum Mitglied des Verwaltungsrats.
Im Juni 2003 gab Bill McDonough sein Verwaltungsratsmandat ab. Alan Greenspan ernannte Jamie Stewart, Acting Chief Executive Officer der Federal Reserve Bank of New York, zu seinem Nachfolger.
Lord Kingsdown, ehemaliger Gouverneur der Bank of England und dienstältestes Mitglied des Verwaltungsrats, wird sein BIZ-Mandat nach zwanzig Jahren mit Wirkung von morgen abgeben. In den letzten sieben Jahren war er Stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrats, und dieses Amt wird von Hans Tietmeyer, dem ehemaligen Präsidenten der Deutschen Bundesbank, übernommen werden.
Der Verwaltungsrat hat sich im vergangenen Geschäftsjahr nicht zuletzt intensiv damit befasst, die Transparenz der BIZ für ihre Interessengruppen zu erhöhen, insbesondere im Bereich der Finanzausweise. Der Generaldirektor wird Ihnen hierzu und zu anderen Themen in seinen Ausführungen Näheres sagen, und ich übergebe jetzt an ihn. Vielen Dank.