Ansprache von Nout Wellink
Präsident der BIZ und
Vorsitzender des Verwaltungsrats
anlässlich der ordentlichen Generalversammlung der Bank
am 8. Juli 2002 in Basel
Anlässlich der ordentlichen Generalversammlung der BIZ freue ich mich, die Delegierten der zum Kreis unserer Aktionäre gehörenden Zentralbanken, die Vertreter von anderen Zentralbanken und von internationalen Organisationen sowie unsere hohen Gäste, darunter viele aus der internationalen Bank- und Finanzwelt, zu begrüßen und Sie alle herzlich willkommen zu heißen.
In früheren Jahren hielt der Präsident seine Rede in der eigentlichen Generalversammlung. In diesem Jahr hat der Verwaltungsrat auf Vorschlag der Direktion einige organisatorische Änderungen beschlossen. Die formellen Beschlüsse wurden den Aktionären der Bank heute Morgen im Rahmen einer neu gestalteten Generalversammlung vorgelegt. Meine Kommentare zur Weltwirtschaft sind jedoch, so hoffe ich, nicht nur für unsere Aktionärszentralbanken, sondern für alle Zentralbanken von Interesse. Sie bilden daher die Grundlage für diese Zusammenkunft hier, gemeinsam mit einem Bericht über die allgemeine Lage der BIZ.
Bevor Andrew Crockett, der Generaldirektor der Bank, Ihnen diesen Bericht präsentiert, möchte ich auf einige wichtige Aspekte der jüngsten weltwirtschaftlichen Entwicklung eingehen.
Die Turbulenzen der letzten Wochen an den Aktienmärkten haben offenbar das Vertrauen in die weltweite Erholung erschüttert. Mehrere aufstrebende Volkswirtschaften sehen sich jetzt mit einem viel schwierigeren Finanzumfeld konfrontiert. In einem solchen Moment ist es wichtig, ein wenig Abstand zu nehmen und sich daran zu erinnern, dass die Weltwirtschaft schon weit schlimmere Situationen erfolgreich überstanden hat. Zunächst möchte ich darauf eingehen, warum sich die Weltwirtschaft im vergangenen Jahr als wesentlich widerstandsfähiger erwiesen hat, als vielfach erwartet worden war. Dann will ich einige meiner Meinung nach bedeutende Risiken der aktuellen Lage umreißen. Abschließend werde ich noch kurz über das Leistungsbilanzdefizit der USA sprechen.
2001 war für die Weltwirtschaft ein sehr schwieriges Jahr. Ein jäher, massiver Einbruch bei den IT-Investitionen beeinträchtigte die Konjunktur schwer. Die USA gerieten in eine Rezession, und weltweit schwächte sich das Wachstum erheblich ab. Überall auf der Welt fielen die Aktienkurse weiter, und der Kapitalisierungswert von Aktiengesellschaften der so genannten New Economy schwand zu einem großen Teil dahin. Argentinien und die Türkei erlitten eine schwere Krise. Die Terroranschläge des 11. September verdüsterten das Bild zusätzlich. Eine immer noch spürbare Nachwirkung dieser Anschläge ist das vermehrte Gefühl politischer Unsicherheit, insbesondere im Hinblick auf die Konflikte im Nahen Osten und in anderen Regionen. Vielerorts herrscht die Befürchtung, dass sich in diesem Klima die abwartende Stimmung im Unternehmenssektor verstärkt, die zu Zurückhaltung bei den Investitionsausgaben führen könnte.
Trotz dieser Sorgen sind die jüngsten gesamtwirtschaftlichen Indikatoren aber ermutigend. In den meisten größeren Volkswirtschaften zeichnet sich bereits eine moderate Erholung ab. Der Welthandel scheint sich zu beleben. Angesichts der beispiellosen Serie von Schocks, die die Weltwirtschaft seit Anfang 2000 erschüttert haben, sind diese ersten Anzeichen einer Erholung sehr willkommen.
In der Vergangenheit mussten wir oft die Frage stellen: ,,Was ist schief gelaufen?" Diesmal können wir erfreulicherweise fragen: ,,Was ist gut gegangen?" Die Antwort lautet, ganz kurz gefasst: das Zusammenwirken makroökonomischer, struktureller und finanzwirtschaftlicher Faktoren. Ich werde auf diese Faktoren nacheinander eingehen. Insgesamt ziehe ich den Schluss, dass die Stabilisierungs- und Reformpolitik, die seit etlichen Jahren verfolgt wird, nicht nur den Entscheidungsträgern Handlungsspielraum in einem ausgeprägten Abschwung verschaffte, sondern auch zu mehr Flexibilität in der Wirtschaft beigetragen hat.
Der erste Faktor war eine überraschend widerstandsfähige Gesamtwirtschaft. Bei einbrechenden Unternehmensinvestitionen wurde die Wirkungskraft der Rezession durch den weiterhin lebhaften Konsum der privaten Haushalte eingedämmt, und zwar vor allem in den USA und anderen englischsprachigen Ländern, aber auch in Teilen Kontinentaleuropas und mehreren aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens.
Diese Stabilität im Ausgabeverhalten der privaten Haushalte wurde praktisch überall durch eine klar expansive Geldpolitik unterstützt. Eine derart umfangreiche und weit verbreitete Lockerung der Geldpolitik war möglich, weil die Inflation niedrig war. Dort, wo sich eine entschieden stabilitätsorientierte Geldpolitik Glaubwürdigkeit an den Finanzmärkten erworben hatte, konnten die Zinssätze kräftig gesenkt werden, ohne die Erwartung einer höheren Inflation zu wecken. Die einzige bedeutende Ausnahme war Japan, wo die Notenbanksätze schon nahe bei null lagen, also kaum noch weiter zurückgenommen werden konnten. Die herkömmliche Geldpolitik stieß hier sichtbar an ihre Grenzen.
In einigen Ländern war auch die Fiskalpolitik eine wichtige Nachfragestütze. Länder mit einer solideren Haushaltsposition konnten eine expansivere Politik verfolgen, ohne an Glaubwürdigkeit einzubüßen. In den USA hatten frühere Bemühungen, die Ausgaben zu beschränken, im Jahr 2000 zu einem erheblichen Haushaltsüberschuss geführt. Der Zeitpunkt, in dem die Haushaltspolitik wieder expansiver wurde, war zwar in gewissem Maße zufällig, erwies sich aber als geradezu ideal, da das Land mit einem sehr starken Abschwung und den Folgen der Terroranschläge konfrontiert war. In den Ländern des Euro-Raums war die Ausgangslage weniger günstig, aber dank des stetigen Abbaus der Defizite über mehrere Jahre hinweg konnte zumindest das Wirken der automatischen Stabilisatoren zugelassen werden. In Japan schlossen große Defizite und eine hohe Verschuldung zusätzliche fiskalpolitische Impulse aus. Einige asiatische Länder mit einer vergleichsweise soliden Haushaltsposition konnten hingegen ebenfalls expansive Maßnahmen ergreifen.
Nun gilt es die mittelfristige Ausrichtung der Wirtschaftspolitik, die so wesentlich zur Widerstandsfähigkeit der Weltwirtschaft unter misslichen Umständen beigetragen hat, auf jeden Fall beizubehalten. Die Geldpolitik kann nicht auf unbestimmte Zeit derart expansiv bleiben. Ebenso müssen Haushaltsdefizite in Grenzen gehalten werden. Oft ist es sehr schwierig, zur Haushaltsdisziplin zurückzukehren, wenn Haushaltsziele in einer Ausnahmesituation gelockert worden sind. Darum ist die Verpflichtung auf mittelfristige Defizitlimits so wichtig. In einer Anzahl von Entwicklungsländern ist die Verschuldung gemessen am BIP aufgrund hoher Haushaltsdefizite längerfristig untragbar. Wird diese Entwicklung nicht gestoppt, könnte sie schließlich private Investitionen verdrängen und das Vertrauen untergraben.
Der zweite Faktor waren Strukturreformen. Die wirtschaftliche Liberalisierung und ein größerer Spielraum für die Marktkräfte haben den Volkswirtschaften geholfen, neue Chancen zu nutzen und auf widrige Umstände flexibler zu reagieren. Die USA veranschaulichen in vielerlei Hinsicht, was eine deregulierte Wirtschaft erreichen kann. Aber auch Strukturreformen in Europa geben Anlass zu Zufriedenheit, wenngleich noch viel zu tun bleibt. Verschiedene Märkte - Telekommunikation, Elektrizität u.a. - werden seit einigen Jahren schrittweise liberalisiert. Dank Maßnahmen zur Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, die in den neunziger Jahren ergriffen wurden, scheint außerdem das Beschäftigungswachstum zugenommen zu haben. Dass die Arbeitslosenquote in Kontinentaleuropa nicht mehr mit jedem Abschwung steigt, ist ein Zeichen dafür, dass die Arbeitsmarktreformen allmählich greifen.
Besonders ermutigend ist, dass mehrere aufstrebende Volkswirtschaften, die in den letzten zehn Jahren schwere Krisen erlitten, mit ehrgeizigen Strukturreformprogrammen reagiert haben. Infolgedessen haben sich die mittelfristigen Aussichten etlicher Länder in Asien, Mitteleuropa und Lateinamerika erheblich verbessert. Ebenso verzeichnen diejenigen afrikanischen Länder südlich der Sahara, die eine entschlossene Strukturpolitik (und Wirtschaftspolitik) verfolgen, ein rascheres Wachstum des BIP pro Kopf als andere Länder der Region. Solche Erfolge sollten die Entscheidungsträger in Ländern, die derzeit mit schweren Krisen kämpfen, veranlassen, die zur Wiederherstellung des Wohlstands notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Das wird nicht leicht sein. Und es wird Zeit brauchen. Aber die Erfahrung zeigt klar und deutlich, dass eine solche Politik die Volkswirtschaft zum Wachstum zurückführen kann.
Ein zentrales Element der Strukturreformen ist die globale Liberalisierung im Außenhandel, insbesondere in Entwicklungsländern. Der Beitritt Chinas zur WTO ist sehr zu begrüßen. Und zwar nicht nur, weil eine solche Großmacht des internationalen Handels in vollem Umfang in multilaterale Handelsprozesse einbezogen werden sollte, sondern auch, weil die Wirkungsmechanismen eines offenen Handelssystems das Entstehen einer echten marktwirtschaftlichen Ordnung in der Binnenwirtschaft besonders effektiv vorantreiben können. Gleichzeitig erinnern uns die jüngsten Handelsstreitigkeiten daran, dass die fortgeschrittenen Länder protektionistischem Druck aus dem Inland widerstehen müssen. Wird einem solchen Druck nachgegeben, sind wir alle die Leid Tragenden, und ähnliches Fehlverhalten in weniger entwickelten Ländern wird gefördert.
Der dritte Faktor war die bemerkenswerte Robustheit des weltweiten Finanzsystems. In den fortgeschrittenen Ländern verursachten weder fallende Aktienkurse noch eine Welle von Bonitätsherabstufungen im Unternehmenssektor noch der Konkurs mehrerer namhafter Unternehmen größere Spannungen an den Finanzmärkten. Banken und Anleger erlitten zwar beträchtliche Verluste, aber zu einer allgemeinen Verknappung von Finanzmitteln kam es nicht. Die rasche Erholung des Finanzsystems nach den Zerstörungen und den schrecklichen Verlusten an Menschenleben im Herzen der Finanzwelt am 11. September veranschaulicht diese Robustheit auf besonders dramatische Weise.
Das Finanzsystem ist in den letzten Jahren zweifellos flexibler geworden und kann Schocks eher verkraften. Von besonderer Bedeutung ist, dass Risiken jetzt besser diversifiziert und gehandhabt werden können. Die Schuldner sind weit weniger von einzelnen Instituten abhängig. Das herausragendste Beispiel dürfte sein, dass das Platzen der Technologieblase nur begrenzten Schaden anrichtete. Dass ein großer Teil der IT-Investitionen in den späten neunziger Jahren über die Kapitalmärkte finanziert wurde, trug zu einer breiten Streuung der Risiken und im Endeffekt auch der Verluste bei. Darüber hinaus konnten die Gläubiger die Ausfallrisiken über die Märkte für Kreditderivate weitergeben. Die Erschließung neuer Märkte für die Übertragung des Kreditrisikos hat wahrscheinlich auch eine Verbesserung der entsprechenden Risikomanagement-Verfahren bewirkt.
Selbstverständlich muss die Aufsichtspraxis mit den Entwicklungen an den Finanzmärkten Schritt halten. Die vorgeschlagene Neue Eigenkapitalvereinbarung des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht weist den einzelnen Banken besondere Verantwortung für ein umfassendes Risikomanagement zu. Die umfangreichen Vorarbeiten des Basler Ausschusses haben weite Kreise gezogen, was viel dazu beigetragen hat, moderne Risikomanagement-Verfahren bekannt zu machen. Die jüngsten - teilweise massiven - Verluste haben alle Banken auf schmerzhafte Weise daran erinnert, dass sie gegenüber Risiken wachsam bleiben und deren Veränderung ständig überwachen müssen. Abschluss und Umsetzung von Basel II sind für die Anpassung der Banken an ein neues, risikobezogeneres Umfeld von zentraler Bedeutung.
Mit den Innovationen im Finanzgewerbe weitet sich das Tätigkeitsfeld der Finanzintermediation aus, und vor diesem Hintergrund müssen wir den Risiken größere Beachtung schenken. In diesem Sinne möchte ich auf einige spezielle Risiken näher eingehen, die zu einer weniger zufrieden stellenden wirtschaftlichen Entwicklung führen könnten, als sie sich derzeit abzuzeichnen scheint.
Das erste Risiko hängt mit der Wechselbeziehung zwischen den Preisen von Vermögenswerten und der Verschuldung zusammen. Die Preise von Vermögenswerten hängen von Zukunftserwartungen ab, und diese können sich abrupt ändern. In der Vergangenheit hat ein Anstieg dieser Preise nur allzu oft einen bleibenden Vermögenszuwachs vorgespiegelt, was zu niedrigeren Sparquoten führte. Und nur allzu oft haben höhere Preise von Vermögenswerten eine erhöhte Verschuldung und noch höhere Preise von Vermögenswerten nach sich gezogen. Solche Effekte können gefährlich prozyklisch wirken und sowohl einen Boom als auch eine Rezession verstärken. Viele von uns konnten diesen Teufelskreis schon am inländischen Immobilienmarkt beobachten. Wenn die Zinssätze niedrig sind, werden die Gefahren einer erhöhten Verschuldung oft unterschätzt. In einigen Ländern erscheint die Schuldenquote in diesem frühen Stadium des Konjunkturaufschwungs denn auch recht hoch, und die Verschuldung der privaten Haushalte steigt in manchen Ländern immer noch stark an. Dies muss genau im Auge behalten werden.
Zweitens lässt die Qualität der Informationen, auf die sich die Kapitalmärkte stützen, oft sehr zu wünschen übrig. Der Konkurs von Enron und das WorldCom-Debakel erst in der letzten Woche zeigen deutlich, wie an sich wirksame Führungs- und Überwachungsmechanismen in Unternehmen durch unvollständige und irreführende Informationen unterlaufen werden können. Hier ist noch vieles gründlich zu untersuchen: die angemessene Bilanzierung von Aktienoptionen für Angestellte, undurchsichtige Mechanismen zur Verschleierung von Schulden, fiktive Geschäfte zur Aufblähung der Umsätze und so weiter. Es könnten durchaus energische Maßnahmen notwendig werden.
Eine dritte Mahnung zur Vorsicht ist darin begründet, dass viele Finanzinstrumente, die der Minderung des Kreditrisikos dienen, noch neu sind. Sie haben zwar im jüngsten Abschwung gute Ergebnisse erbracht, aber es bleibt abzuwarten, wie sie sich in einer längeren Rezession bewähren. Der hohe Konzentrationsgrad im Handel mit dem Kreditrisiko könnte in bestimmten Situationen die Stabilität des Finanzsektors gefährden.
Viertens ist darauf hinzuweisen, dass die langwierige Krise in Argentinien noch gar nicht ihre volle Wirkung entfaltet hat. Das Vorgehen in Bezug auf die argentinischen Finanzinstitute könnte durchaus Folgen über die Landesgrenzen hinaus haben. Mehrere andere Länder in Lateinamerika haben mit eigenen Problemen zu kämpfen und mussten in den letzten Jahren zeitweilig mit instabilen Finanzmärkten fertig werden. Lateinamerika ist die einzige größere Region, für die die Wachstumsprognosen für das Jahr 2002 weiterhin nach unten korrigiert werden. Da die Anfälligkeit vieler Länder hier wegen einer hohen Auslandsverschuldung und anhaltender Leistungsbilanzdefizite hoch ist, sind rigorose fiskal- und geldpolitische Maßnahmen von zentraler Bedeutung.
Zum Schluss lassen Sie mich eine Frage stellen, die zeigt, wie wichtig die makroökonomischen und strukturellen Probleme sind, von denen ich gesprochen habe: Sollten wir uns über das Leistungsbilanzdefizit der USA Sorgen machen? Dieses Defizit, das derzeit rund 4% des BIP entspricht, spiegelt die Tatsache wider, dass die inländische Ersparnisbildung in den USA weit hinter der inländischen Investitionsquote zurückbleibt, selbst jetzt noch, wo diese recht niedrig ist. Aus globaler Sicht hat dieses Ungleichgewicht den Vorteil, dass es das Wachstum der Weltwirtschaft ankurbelt. Ein großes und noch wachsendes Defizit ist bisher stets problemlos finanziert worden, u.a. weil ausländisches Kapital von der Flexibilität und der Dynamik der US-Wirtschaft angezogen wurde. Das reale Produktivitätswachstum in den USA hat sich beträchtlich erhöht, während eine solche Verbesserung weder in Japan noch in Europa klar erkennbar war. Infolgedessen tendierte der Dollar nach oben.
Dennoch können sich die USA nicht darauf verlassen, dass ein so großes Leistungsbilanzdefizit auf Dauer durch ausländische Ersparnis gedeckt wird. Eine Umkehr des deutlichen Rückgangs der Sparquote in den USA ist sowohl wahrscheinlich als auch wünschenswert. International bestünde die ideale Lösung in einem kräftigeren, nachhaltigen Wachstum in Ländern mit starker Leistungsbilanzposition als Ausgleich für ein geringeres Wachstum der Inlandsnachfrage in den USA. Dies gilt besonders für Japan, aber auch für Europa. Da in beiden Fällen der Spielraum für weitere geld- und fiskalpolitische Impulse eingeschränkt ist, müssen strukturelle Reformen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Trotz Fortschritten sind die Arbeits- und Gütermärkte in vielen europäischen Ländern immer noch überreguliert. Solche strukturellen Verkrustungen schrecken nach wie vor Unternehmensinvestitionen ab, begrenzen den Produktivitätszuwachs und halten die Arbeitslosenquoten in manchen Ländern auf unnötig hohem Niveau.
In Japan sinken die Unternehmensinvestitionen weiter, sodass der Nettofinanzierungsüberschuss des Unternehmenssektors auf über 5% des BIP gestiegen ist. Eine Nettoersparnis des Unternehmenssektors in dieser Größenordnung ist einer der Hauptgründe für die gedrückte Nachfrage in Japan. Zum Teil ist sie eine unvermeidliche Folge einer Überschuldung, die aus früheren Überinvestitionen herrührt. Möglicherweise leiden aber auch die Banken immer noch so stark unter notleidenden Krediten, dass sie sogar kreditwürdigen Unternehmen nur zögernd Mittel bereitstellen. Die jüngsten Maßnahmen der japanischen Behörden, mit denen die Banken gezwungen werden, faule Kredite in der Bilanz auszuweisen und wenn nötig abzuschreiben, sind daher ermutigend. Japan benötigt ein starkes Finanzsystem, damit es wieder eine angemessene Rolle in der Weltwirtschaft spielen kann.
Die allgemeine Lehre, die sich aus diesen Überlegungen ziehen lässt, lautet: Wenn wir über das US-Leistungsbilanzdefizit reden, müssen wir uns die Zusammenhänge genau ansehen. Wir dürfen uns nicht allein auf die USA konzentrieren, sondern müssen auch andere wichtige Länder betrachten. Wir müssen über die Geld- und Fiskalpolitik hinaus strukturelle Reformen ins Auge fassen, die dazu beitragen können, dass sowohl die Real- als auch die Finanzwirtschaft effizienter und sicherer arbeiten. Die allgemeine Zufriedenheit angesichts der jüngsten Erfolge der Weltwirtschaft darf nicht dazu führen, dass solche Reformen als weniger dringlich erachtet werden.